Home Die Sucht

Die Sucht

Eine Geschichte eines Betroffenen vom Moment, wo das Spiel die Person fesselt, die Person einverleibt und diesen nicht loslassen will…

Der Anfang
Der Schulkollege spielt es. Der Sportvereinskumpel spielt es. Der Bruder spielt es. Und alle sagen mir, wie toll das Spiel ist und man auch mal reinschauen soll. Wenn es so viele sagen, dann kann ich ja mal reingucken, auch wenn das Interesse an Onlinespielen bisher gering bis verschwindend klein war. Man ist eher der PC-Siedler-Spieler. Also, ab an den Rechner, einschalten, Browser starten, URL eingeben und schon erscheint die Website, die mich gleich versucht mit etwas mystischem zu berieseln. Natürlich bin ich noch etwas skeptisch und lese daher die Geschichte zum Spiel durch und zack. Hat es mir schon ersten Ärmel reingezogen.

Das Spiel
Nachdem ich dank der cleveren Spielbeschreibung in eine andere Welt eingetaucht bin und in dieser mir schon meine Rolle vorstelle die ich besetzen will. Ein tapferer Krieger und geschickter Diplomat schwebt mir da so vor. Etwas ehrenhaftes, aber auch ein Abenteurer. Nachdem ich mich das erste Mal ins Spiel eingeloggt habe, erhalte ich ein Landstueck, eine Burg, ein Haus, eine Insel, usw. als Start und los geht es. Ich gucke mich um, was alles so für Möglichkeiten vorhanden sind und dabei fällt der Blick auch auf die Ranglisten und schon hat man den ersten Ansporn, wenn man die Punktezahl des Ersten sieht. Also ja keine Zeit verlieren und sich sagen, dass man nur am Anfang mehr Zeit aufwendet bis das Ziel erreicht ist.

Das Interesse
Natürlich gibt es Allianzen, Stämme, Clans, usw. und sobald ich die ersten Punkte erspielt habe, flattern die ersten “Willst nicht auch zu uns kommen, wir suchen aktive Spieler\“-Meldungen rein. Aha, ich bin interessant und gefragt. Wem tut dies schon nicht gut? Und immer wieder der Blick auf die Rangliste. Super, wieder 10 Plätze gut gemacht. Das erste Ziel unter die besten 150 zu kommen ist bald erreicht. Man tritt dann stolz in die Allianz ein und begruesst Alle freudig. Natürlich ist ein Neuer immer interessant und man tauscht die geläufigen Informationen aus, wie das Alter, von wo man kommt und was man so macht, außer vor dem Rechner zu sitzen. Es folgen die ersten Kämpfe und die ersten Niederlagen, aber ich habe ja die richtige Allianz ausgesucht und daher verbuche ich auch die ersten Erfolge. Egal wie heftig die Niederlagen waren, solange es Erfolge gibt, will ich mehr davon und ändere daher meine Aufbaustrategie. Dadurch werde ich erfolgreicher und erfolgreicher und gewinne einen Kampf nach dem anderen. Und wenn ich verliere, dann muss ein Sieg her, koste es (Zeit) was es wolle. Wer ist den schon gerne ein Verlierer?

Die Macht
Als aktiver Spieler, der seine Zeit gerne vor dem Rechner verbringt und die ganzen Strukturen aufmerksam beobachtet. Schaut, welcher Spieler mit welchem Spieler gut kann und mit Welchen weniger. Aufmerksam ist, was für Allianzen sich leiden können und welche nicht, baue ich mir langsam aber sicher ein Wissen auf. Ein Wissen dass wertvoll wird. Dies fällt auch Anderen auf und ich komme immer mehr in Kontakt mit den Entscheidungsträgern, wie Clanchefs, Administratoren, Stammeshaeuptlinge, usw. und das Beziehungsnetz weitet sich aus. Da ich ja bereits ein immenses Wissen aufgebaut habe, ist der Schritt vom Spieler zum Administrator nicht mehr weit. Wer möchte schon nicht die Fuehrungsperson einer Gruppe sein und Entscheide fällen?

Die Aufgaben
Als Anführer sind wichtige Entscheide zu fällen, die nur dann im Sinne der Gruppe gefällt werden können, wenn ich deren Wünsche kenne. Also spreche, telefoniere, chatte ich mit diesen. In welche Richtung soll sich die Gruppe bewegen? Neutralität? Krieglustig? Hinterlistig? Wieder folgen Gespräche mit anderen Gruppenleader, mit Spielern. Ich muss ja schließlich Alles wissen, damit guten Gewissens Entscheide gefällt werden können. Es folgen Kriege. Die Gruppe ist erfolgreich zu führen. Heimliche Absprachen. Besänftigen der Gemüter. Friedensverhandlungen. Das Beste für die Allianz rausholen. Diplomatisch agieren. Schlussendlich bin ich der Kopf einer Gruppe und da muss ich überall dabei sein. Auch wenn es Chat’s sind, die bis Morgens 4 Uhr gehen. Wie würde die Allianz auch dastehen, wenn meine Person um 23 Uhr sagt: “Ich bin müde und muss am nächsten Morgen arbeiten. cu\“, wenn gerade Friedensverhandlungen laufen

Die Leere
Doch einmal sind meine Ziele erreicht. Ich befinde mich unter den besten 10. Die Allianz hat einen guten Ruf. Die Strukturen sind so gefestigt, dass man Nichts mehr rütteln kann. Die Spielidee läuft ins Nirvana. Meine Ländereien sind ausgebaut. Man kann nur noch langweilige Armeen in Auftrag geben. Von denen, wo man eh schon genug besitzt. Das Interesse der einzelnen Spieler wird dadurch auch kleiner. Der Kontakt innerhalb der Allianz lässt nach. Die Ersten hören auf, da es keinen Sinn macht. Aber selber? Nein, ich bin ja der Leader der Truppe. Mir wurde ja die Aufgabe aufgetragen, die Stimmung hochzuhalten. Ich muss ja Themen aufbringen, die das Interesse der Mitspieler anregt. Wie gut, dass es da gerade eine Fußball EM gibt, die Olympiade am laufen ist oder sich gerade ein berühmtes Paar scheidet.

Das Nicht loslassen
Doch Hallo? Gab es da nicht mal ein Spiel? Ahja. Gut, mal schnell Armee bauen und dann den Sommer genießen. Aber nein. Ich hab sofort das Gefühl, ich verpasse was. Auch wenn ich es nicht tue. Also lieber eine Stunde früher vom baden am See nach Hause gehen. Und ich bin ja immer noch der Anführer, also muss ich Präsenz markieren und irgendwelche Aktionen ins Leben rufen, damit es ein bisschen Unterhaltung gibt. So Aktionen, wie die berühmten Wortspiele, oder “wir-packen-einen-Koffer“.

Der Schritt weg
Inzwischen haben ein paar mehr aufgehört. Aber ich will es nicht wahrhaben, dass die Allianz langsam zerbröckelt. Deren Leader ich ja bin. Und wer ist schon gerne der Leader von Nichts? Aber eigentlich ist ja Nichts mehr da. Doch, wie soll ich Etwas loslassen, wofür monatelang die Nächte um die Ohren geschlagen wurden? Sein Herzblut geopfert hat? Seine Freunde und Familie sitzen ließ? Einfach den Bettel hinschmeißen? Der Gruppe sagen: “War eine schöne Zeit mit euch, aber mich frisst es auf\“? Nein, sie brauchen mich ja. Jedenfalls habe ich mir diese Hülle aufgebaut, die mich damit beschallt. Da gäbe es noch den Weg des langsamen Abgangs. Ich trete als Leader ab und lass Andere ran und widme mich den täglichen Arbeiten. Doch, es muss schwer sein, wenn man ein Glied zurückgeht und andere an sein Werk lässt. Obwohl, ist das Werk noch vorhanden? Ja, ist es. Einfach nicht mehr so schön, wie ich es mir vorstelle, aber das Kind ist immer noch da. Ja, einen Amoklauf kann ich auch in Erwägung ziehen, damit man noch einmal so richtig Spaß hat und Leben in die Bude bringt. Doch, hab ich dafür so viel Zeit geopfert um mit so einer Aktion Alles zu zerstören? Aber es muss einen Weg geben…

Die Nebenerscheinungen / Das Umfeld
Schoen, ich bin der Held und da ich ein einigermaßen glückliches Händchen mein Eigen nenne, werde ich auch von der Gemeinschaft respektiert. Man ist gern gesehen im Spiel. Anerkennung. Beachtung. Wertschätzung. Im Spiel? Genau, es ist ja nur ein Spiel. Doch was heißt hier “nur\“? Darf man Etwas, was soviel Zeit und so großen Platz im Leben einnimmt, mit dem Wort “nur” bezeichnen? Ich denke, es MUSS damit bezeichnet werden, auch wenn es sehr, sehr schwer fällt. Was habe ich noch außerhalb des Spiels? Oh, da gibt es ja noch einen Partner. Eine Familie, Kollegen, Bekannte, usw.. Hab ich für sie die Zeit aufgewendet, die sie verdienen? Habe ich sie nie versetzt, da ein Chat wichtiger war? Habe ich meine Hobbies weiter gepflegt? Kann man diese überhaupt weiter pflegen, neben der Zeit, wo ich für das Spiel aufwende? Vermutlich… Nein, mit Sicherheit ist die Antwort hier: “Nein, hab ich nicht und kann man nicht.\“. Wie verhalte ich mich im richtigen Leben? Bin ich noch der Gleiche? Wie weit beeinflusst mich die Stimmung des Spiels im Alltag? Reagiere ich auf Situationen gleich, auch wenn es der Allianz schlecht läuft? Kann ich klar trennen zwischen der echten und der virtuellen Welt? Wohl kaum.

Beeinflusse ich das Spiel oder das Spiel mich?
Ich bin kein Psychologe oder bewege mich auch nicht in diesem Umfeld, daher kann es gut sein, dass gewisse Aussagen mit Gegenargumenten belegt werden können…

(Dieser Text wurde unter der Creative Commons Lizenz, bei calophia.de von „malkhovic“, veröffentlicht.)
Gefunden von Valin.

Zuletzt aktualisiert am 29/03/2018 um 18:34 Uhr